Wer sich mit der (Vor-)geschichte beider Weltkriege und den damit im Zusammenhang stehenden Volkstumsfragen beschäftigt, den wird es nicht überraschen, dass im Zuge des Russland-Ukraine-Krieges diese Fragen wieder an Bedeutung gewinnen.
Heutige Patrioten gehen nicht achselzuckend oder geschichtsvergessen über die Schicksale der Völker und Volksgruppen hinweg, sondern interessieren sich für die Hintergründe der Konflikte, für die jeweils zu respektierenden Standpunkte der einzelnen ethnischen Gruppen und Nationen – und nicht zuletzt für die Geschichte des eigenen Volkes oder die Tragödie der Opfer von Flucht und Vertreibung.
Dieser wichtigen Frage nimmt sich DS-Autor Peter Wassertheurer in seinem Roman Heute aber braucht mich die Heimat – Greinlinger und die Todesmärsche durchs Sudetenland an. Dabei rückt er das oben angesprochene Thema einfühlsam, berührend und doch zugleich unglaublich faktenreich erneut in unser Bewusstsein. Vor allem aber vermittelt er den Angehörigen jener Generationen, welche die Vertreibung und ihre unfassbaren Verbrechen nicht am eigenen Leib miterleben musste, einen sehr ergreifenden Eindruck vom Vertreibungsschicksal der Sudetendeutschen, wie auch deren Vorgeschichte.
Neben den Sudetendeutschen werden auch die Schrecken der Donauschwaben, der Deutsch-Untersteirer und der Siebenbürger Sachsen beschrieben.
Wir erleben durch die im Roman geschilderte, vielleicht gar nicht so fiktionale Recherchearbeit unserer Hauptfigur Greinlinger die Brutalität, die Entrechtung, vor allem aber das Gefühl des Heimatverlustes hautnah mit. Gleichzeitig wird durch die realitätsnähe Schilderung deutlich, wie schwierig sich die Erinnerungsarbeit für deutsche Heimatvertriebene in der Nachkriegszeit gestaltete und unter welchem politischen Druck sie seit jeher stand und steht.
Dieser opulente Roman, der als Taschenbuch in einem Umfang von 700 Seiten erscheint, eignet sich sowohl für die Angehörigen der Erlebnisgeneration als auch für deren Nachkommen und sogar ganz besonders für die Kinder, Enkel und Urenkel derer, die ihre Heimat einst im deutschen Osten hatten, denn wie sollte diesen das Schicksal ihrer Ahnen besser nahegebracht werden als mit einem lebendig geschriebenen Roman? Somit eignet sich Heute aber braucht mich die Heimat… also auch ganz hervorragend als Weihnachtsgeschenk. Greifen Sie schnell zu, die Auflage könnte rasch vergriffen sein!
Textauszug aus dem Roman:
»Wasser und Seife musste ich mir wie eine billige Hure von den Tschechen erbetteln. Voller Scham denke ich daran zurück, wozu ich für ein Stückchen Seife bereit war. In diesem Lager hatte ich um des nackten Lebens willen alle Skrupel abgelegt. Als Deutsche konnte ich nur noch zwischen einem Leben ohne Würde oder einem qualvollen Tod entscheiden. Die Tschechen haben dafür gesorgt, dass es dazwischen nichts mehr gab, kein Blatt Papier hätte Platz gehabt. Man wünscht sich mehr als nur einmal den Tod, aber man hält trotz aller Erniedrigungen am Leben fest und entscheidet sich für das Weitermachen, auch wenn es nur noch Schmutz und Elend, Mord und Totschlag, Lug und Trug, die Hurerei und die absolute Entmenschlichung anzubieten hat.«
Unser Autor:
Dr. Peter Wassertheurer, geboren 1964 in Kärnten in Österreich. Nach dem Studium in Graz Lektor für deutsche Sprache in Japan. Danach wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Verband der volksdeutschen Heimatvertriebenen in Wien. Lektorat an der Wirtschaftsuniversität Wien. Autor von Theaterstücken und Erzählungen. Journalistische Tätigkeit und Sachbuchautor.
Peter Wassertheurer - Heute aber braucht mich die Heimat. Greinlinger und die Todesmärsche durchs Sudetenland. DS-Verlag, Riesa 2022, 700 Seiten, kartoniert, Umschlag veredelt, 27,90 €.
Buchbesprechung aus N.S. Heute #34:
Ein interessantes Experiment wagte der Deutsche Stimme-Verlag mit seiner Neuerscheinung „Heute aber braucht mich die Heimat“ des deutschösterreichischen Schriftstellers und Journalisten Dr. Peter Wassertheurer. Die episodenhafte Schilderung der millionenfachen Vertreibungen aus dem Sudetenland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird eingebettet in eine Romanhandlung aus der Sicht eines Historikers, der sich mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieser Verbrechen beschäftigt und Zeitzeugen befragt.
Der Hauptprotagonist Peter Greinlinger, der wahrscheinlich nicht zufällig denselben Vornamen wie der Autor trägt, ist ein promovierter Historiker und lebt allein in Wien. Nachdem Greinlinger einen Artikel in einer als „rechts“ verpönten Burschenschaftszeitung veröffentlichte, verliert er seine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Universität. Durch eine Stellenanzeige wird er auf das Angebot der Sudetendeutschen Landsmannschaft aufmerksam, die einen Wissenschaftler für ein ambitioniertes Forschungsprojekt sucht. Im Auftrag der Landsmannschaft sollen Zeitzeugenberichte über die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen gesammelt und ausgewertet werden. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten bekommt Greinlinger die Stelle und vertieft sich sogleich in seine Arbeit, die ihm eine willkommene Abwechslung ist, um die Scheidung von seiner Ex-Frau und die Trennung von seinen beiden kleinen Töchtern zu verarbeiten.
Der Leser glaubt zunächst, der Roman spiele in der unmittelbaren Gegenwart, erfährt jedoch später, dass die Handlung um das Jahr 1985 herum anzusiedeln ist. Um Irritationen beim Leser vorzubeugen, wäre es sinnvoller gewesen, die zeitliche Einordnung bereits am Anfang des Romans zu klären. Zudem ist es aus Sicht des Rezensenten fraglich, ob man mit einem solchen Thema, das für viele Leser sicherlich nicht leicht zu ertragen sein wird, nicht weniger als 700 Seiten füllen muss, oder ob die Hälfte des Umfangs nicht genauso ausgereicht hätte.
Die episodenhaften Darstellungen zeigen die brutale, rücksichtslose, mörderische Vertreibung von drei Millionen Menschen aus ihrer Heimat: Den Sudetendeutschen wurde nach Kriegsende ihr Grund und Boden geraubt, viele wurden in Konzentrationslagern zusammengepfercht. Wer das Glück hatte, der sofortigen Ermordung zu entgehen, wurde auf sogenannte „Todesmärsche“ gen Westen geschickt. Die antideutschen Pogrome im Sudetenland, in Böhmen und Mähren gehören zu den schlimmsten und brutalsten Verbrechen der Nachkriegszeit. Selbst geschichtskundige Leser werden sich an der ein oder anderen Stelle fragen, ob die dargestellten Massenmorde tatsächlich in dieser bestialischen Form stattgefunden haben – doch eine Internetrecherche etwa zu den Massakern von Prerau oder Postelberg lässt den Leser zu der traurigen Gewissheit kommen, dass die Berichte leider keineswegs übertrieben sind.
Unbeantwortet bleibt die Frage, woher dieser Abgrund von Menschenhass bei den tschechischen Tätern kam. Einige waren als bolschewistische Partisanen ohnehin verroht und mit antideutschen Ressentiments vollgestopft, doch trotzdem kann das keine befriedigende Antwort darauf sein, wie in dem angeblich so zivilisierten Mitteleuropa noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts derart unmenschliche Verbrechen geschehen konnten, zumal sämtliche Kriegshandlungen zu diesem Zeitpunkt bereits beendet waren. Die zum größten Teil bolschewistisch gesinnten Mörder hatten für ihre Taten keine Strafe zu befürchten: Die Überlebenden der Pogrome, Massaker und Todesmärsche, die sich später hilfesuchend an die Bonner Republik wandten, bekamen nur den lapidaren Hinweis, dass alle Fragen zwischen der BRD und der Tschechoslowakei endgültig geklärt seien.
Der Leser nimmt in diesem Buch nicht nur Einblick in die Geschehnisse im Sudetenland, sondern erfährt auch ganz ähnliche Geschichten aus Ostpreußen und Schlesien, von den Siebenbürger Sachsen in Rumänien und den Donauschwaben in Jugoslawien. Die schrecklichen Erlebnisse, mit denen Greinlinger von Berufs wegen immer wieder konfrontiert wird, verfolgen ihn nicht nur in seine Träume, sondern auch in seinen Alltag und erschweren ihm somit einen Neuanfang im Privatleben. Wird ihm dieser Neuanfang trotzdem gelingen? Der Leser wird es am Ende des Buches herausfinden.
Diesen Artikel haben wir am 11.11.2022 in unseren Katalog aufgenommen.