Der Vorgänger-Roman von "Laternenpfähle warten" jetzt erhältlich!
Die deutschstämmige russische Bolschewistin und Geheimagentin Larissa Reissner ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten der frühen 20er-Jahre. Der Schriftsteller Steffen Kopetzky machte sie zur Hauptfigur seines jüngst erschienenen Romans Damenopfer. Er hat außerdem nun einige Schriften Reissners herausgegeben.
Wir bringen in unserer Roman-Reihe den zweiten von drei Bänden aus der Feder Hubert E. Gilberts. Sie sind allesamt antiquarisch nicht zu bekommen, und wenn, dann zu astronomischen Preisen. Larissa heißt Gilberts Roman, er schließt in seiner Handlung an den ersten an: Laternenpfähle warten war und ist von unseren Lesern als Entdeckung und als rasante Lektüre gefeiert worden - eine 2. Auflage war notwendig.
In den Machenschaften rund um den Aufbau einer Schwarzen Reichswehr, die im sowjetischen Russland heimlich eine neue Panzerwaffe und Taktiken des Luftkampfs ausprobieren könnte, trifft Larissa auf Hauptmann a.D. Illgen, der sich - wie fast jeder Mann - sofort in sie verliebt. Aber das ist nur Boulevard, Oberfläche. Illgen wird mit den deutschen Nachkriegsgewinnlern brechen, nach Moskau reisen und im Auftrag Trotzkis den bolschewistischen Kampf um die Ölfelder Bakus führen und gewinnen. Larissa begleitet ihn.
Erik Lehnert schlüsselt in seinem Nachwort auf, wer sich hinter welchem Pseudonym verbirgt. Denn Illgen ist für Monate Teil der Diskussionszirkel rund um Arthur Moeller van den Bruck - und verwirft als Nationalbolschewist jede Hoffnung auf eine konservativ-revolutionäre Wende.
Hubert Ernst Gilbert - Larissa. Verlag Antaios, Schnellroda 2024, 304 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 24,00 €.
Geschichte eines Getriebenen - Buchbesprechung aus N.S. Heute #45:
„Hat Ludendorff, Ihr Idol, nicht Hunderttausende für einen Zweck geopfert?“
„Mag sein! Aber er dachte nur an den Sieg, an ein großes mächtiges Vaterland, an Cannae dachte er … und hier die Leute denken nur an Aktienmajoritäten, an Dollarkurse und Kohlenzechen … nicht an Deutschland.“ (S. 85)
Mit einigen Vorschusslorbeeren geht der Leser an die Lektüre von „Larissa“, den Vorgänger der fulminanten Wiederentdeckung „Laternenpfähle warten“ (zurzeit vergriffen). Der Antaios-Verlag wird sich wohl etwas dabei gedacht haben, Gilberts Roman-Trilogie in umgekehrter Reihenfolge zu veröffentlichen. „Larissa“ kann mit seinem Nachfolger nämlich leider nicht mithalten, dennoch hat der Roman insbesondere für Freunde der literarischen Agenten- und Spionagewelt einiges zu bieten.
„Larissa“ erschien erstmals 1930 und damit zwei Jahre vor „Laternenpfähle warten“. Die Handlung setzt im September 1920 ein und endet im Oktober 1922. „Laternenpfähle warten“ beginnt im April 1923, allerdings stehen die Handlungsstränge der beiden Bücher in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Hauptprotagonist des Romans ist nicht etwa, wie der Leser erwarten würde, die Namensgeberin des Buches, sondern der 35-jährige Hauptmann a.D. Heinrich Ilgen, der nach dem Ersten Weltkrieg als „roter General“ auf russischer Seite gegen die Polen kämpfte und mit nationalbolschewistischen Ideen liebäugelt. Ilgen selbst ist ein Getriebener, der die gleiche Weltverachtung an den Tag legt wie Heinrich Strieder in „Laternenpfähle warten“. Aufgrund seines Hasses insbesondere gegen die Polen sieht Ilgen sich nicht mehr zu echter Liebe fähig, was in seltsamem Widerspruch zu seiner poetischen Veranlagung und seiner Vorliebe für die Werke Shakespeares steht.
Aus einer Laune heraus nimmt Ilgen eine Stelle im Büro des „Ostverbandes“ auf, ein privater Nachrichtendienst, der von Geheimrat Kramer bezahlt wird. Dieser Kramer ist, so steht es im Nachwort von Erik Lehnert, die literarische Entsprechung des Medienmoguls Alfred Hugenberg. Ilgens unmittelbarer Vorgesetzter ist Dr. Birk, wegen seines verkrüppelten Erscheinungsbildes „der Verwachsene“ genannt. Zwecks Informationsbeschaffung aus dem Osten hat jener Birk ein zwielichtiges Agentennetz aufgebaut, in dem jedoch auch Doppelagenten ihr Spiel treiben. Durch Birk wird Ilgen in den „Klub der Jungen“ eingeführt, welcher der Sammlung junger nationaler Kräfte dienen soll, von Ilgen aber schnell als weiterer zahnloser Laber- und Debattierverein enttarnt wird – hier dürfte sich der Leser an zahlreiche Beispiele aus der Nachkriegsrechten bis in die heutige Zeit erinnert fühlen. Nach einem Intermezzo in Oberschlesien, wo Ilgen am Sturm auf den Annaberg teilnimmt und im Angesicht des Gemetzels eine erstaunliche Gleichmütigkeit an den Tag legt, kehrt er desillusioniert ins Reich zurück. Angewidert ist er vor allem von der Ignoranz und fehlenden Unterstützung der Deutschen, während Freikorpsmänner für Oberschlesien sterben.
Die so fanatische wie sexuell reizvolle Larissa Antonowna Werner taucht erst im mittleren Teil des Buches auf. Ilgen lernt die russische Revolutionärin in München bei einer Redoute (Maskenball) kennen, was wohl als Symbol für das Doppelspiel interpretiert werden darf, dem mit Ausnahme von Ilgen fast jeder Charakter im Buch auf seine Weise nachgeht. Durch Larissa lernt Ilgen wieder zu lieben, nachdem zuvor eine Romanze mit einer Angestellten des Nachrichtendienstes nicht das erhoffte Ergebnis gebracht hatte. Schließlich wirft Ilgen beim Ostverband hin und geht nach Russland, wo neue Abenteuer auf ihn warten – die jedoch ganz anders enden sollten, als er es sich vorgestellt hatte. Wie wir aus dem Nachwort erfahren, weist der Hauptprotagonist einige Bezüge zum Leben des Autors auf, und auch Larissa Werner hat in der sowjetischen Revolutionärin Larissa Reissner (1895-1926) ein reales Vorbild. Leider weiß der Leser bei der Lektüre lange nicht, wo dieser Roman überhaupt hinwill, und schnell verzettelt man sich in der Fülle der auftretenden Personen, was eingefleischte Freunde von Spionageromanen jedoch gewohnt sein dürften.
Diesen Artikel haben wir am 12.07.2024 in unseren Katalog aufgenommen.