Bis heute hat die Begegnung mit dem jungen Kriegsfreiwilligen Ernst Wurche nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Noch immer sind wir im Leben und Sterben vom Denken und Fühlen dieses jungen Idealisten tief berührt. Eine der schönsten Novellen deutscher Dichtung.
Walter Flex - Der Wanderer zwischen beiden Welten. Orion-Heimreiter-Verlag Kiel, Neuauflage 2007, 128 Seiten, gebunden, Sonderpreis 6,95 €.
Buchbesprechung aus N.S. Heute #24:
Hier haben wir eins der besten Bücher, das ich je gelesen habe. Die Novelle fällt zwar recht schmal aus, doch seit 1916 begeisterte sie Generationen, so auch mich.
Doch sprechen wir über den Inhalt. Flex schreibt in Erinnerung an seinen Frontfreund Erst Wurche ein Buch über die gemeinsamen Kriegstage im Ersten Weltkrieg. Anders als bei Jünger erleben wir hier keine unendlichen Schlachterlebnisse und auch keine Details über Kriegsverletzungen. Vielmehr geht es um das Gefühl der Brüderlichkeit und der tiefen Seelenverwandtschaft, wenn zwei Menschen die selbe Sprache sprechen. Wenn sich der eine durch den anderen bereichert und reflektiert fühlt und gerne Sorgen und Nöte miteinander teilt. Es scheint fast, als sei Flex an seinem Freund Ernst Wurche gewachsen und reif geworden.
Wurche, ein 20 Jahre alter Wandervogel und Student der Theologie wird Leutnant und geht gemeinsam mit Flex durch die harte Infanterieschule im ersten großen Bruderkrieg und dann alsbald nach Russland an die Front. Der Autor beschreibt lebhaft und tief was ihn zu jener Zeit bewegte und beschreibt mit prosaischer Bildsprache die schönen Seiten der Natur und des deutschen Menschenideals. Wurche wird von ihm stilisiert, als wäre er eine wandelnde Breker-Skulptur die Nietzsche und Goethe rezitiert. Für manchen mag das ins Homoerotische gehen, ich sehe es eher als Anerkennung von Schönheit, Klugheit und Perfektion an sich. Jahrelanger gemeinsamer Kampf schweißt platonisch zusammen. Diese Verbindung ist vielleicht die höchste, die zu erreichen ist auf der Welt, aber das kann wohl nur derjenige fest sagen, der bereits eine solche Drucksituation und den Zusammenhalt unter eingeschanzten Soldaten erleben durfte.
Ich möchte nicht das gesamte Buch vorwegnehmen, daher schreibe ich nichts groß zu der Geschichte oder zu dem Plot. Ein kleiner historischer Fakt noch: das Lied „Wildgänse rauschen durch die Nacht“ ist von Flex als zusätzliches Gedicht mit in die autobiographische Erzählung eingeflossen. Dieses Lied singt man noch heute bei der Bundeswehr. Meiner Meinung nach eines der schönsten Marschlieder überhaupt. Jetzt wisst Ihr, woher es stammt. Lest unbedingt den Flex, sonst habt Ihr etwas verpasst!
Das Buch war der Bestseller zum Ersten Weltkrieg, noch vor Jüngers „In Stahlgewittern“. „Wanderer zwischen beiden Welten“ wurde 1916 veröffentlicht und gelangte zum Kultbuch der deutschen Jugend zwischen den beiden großen Kriegen. Es nicht zu lesen ist eine Bildungslücke. Meiner Meinung nach gehört diese Novelle im Geschichtsunterricht, in Philosophie und im Fach Deutsch auf den Lehrplan.
Flex konnte den Ruhm um sein Buch leider nicht mehr auskosten, er fiel am 16. Oktober 1917 auf der estnischen Insel Ösel für sein Vaterland. Er war Burschenschafter und Student der Geschichte und Germanistik. Vor dem Kriege fungierte er als Hauslehrer in der Familie Otto von Bismarcks. Flex ist gebürtiger Eisenacher. Die Nationalsozialisten überführten seine sterblichen Überreste aus Russland ins deutsche Königsberg. Nach dessen Verlust ziert heute noch ein symbolisches Grab in Eisenach das Andenken an einen der bekanntesten deutschen Autoren des Ersten Weltkrieges.
Diesen Artikel haben wir am 18.01.2022 in unseren Katalog aufgenommen.